Glaube

Die „Corona-Ferien“ verbringen wir im Kloster

5. April 2020

Geht es dir nicht auch manchmal so, dass du dich fragst, ob das alles nur ein blöder Traum ist? Das, was gerade bei uns in Deutschland und dem Rest der Welt geschieht, ist doch so verrückt und unwirklich, dass man es noch gar nicht ganz fassen kann. Ganz zu schweigen von dem, was erst auf uns zukommt in der nächsten Zeit. Das Internet und die Zeitungen sind voll von allen möglichen Zukunftsprognosen, die vom totalen Zusammenbruch der Weltwirtschaft bis hin zur Utopie einer neuen und besseren Gesellschaft reichen. Was die Zukunft bringt, das kann mit Sicherheit niemand genau vorhersagen, aber das Wort Krise verrät uns ein Stück weit, in welche Richtung es gehen kann.

Warum eigentlich Krise und nicht Virenattacke?

Bezeichnenderweise wird das, was das Covid19-Virus momentan mit uns Menschen anstellt, in der Öffentlichkeit als Krise bezeichnet. Warum denn Krise und nicht Angriff oder Katastrophe? Das, was das Virus da von Tag zu Tag mit uns anstellt ist doch viel eher ein Angriff auf die menschliche Zivilisation? Oder wenn wir die gesamten Folgen der Virusattacke betrachten oder versuchen vorherzusehen, dann gleicht der Fall Corona doch eher einer Katastrophe. Warum also Krise? Ich glaube, der Name ist kein Zufall. Denn Krise bedeutet von der Übersetzung her so viel wie Höhepunkt oder Wendepunkt. Was hat das Corona Virus denn mit einem Wendepunkt zu tun? Klar, der Wendepunkt von Corona wird an dem Tag erreicht sein, wenn die Zahl der infizierten Personen nicht mehr steigt, sondern wieder zurückgeht. Das ist der Wendepunkt auf dem Höhepunkt, auf den alle warten und der momentan in Europa mit allen Mitteln versucht wird herbeizuführen. Ich bin aber gewiss nicht die einzige und erste Person, die in dieser „Viruskrise“ auch die Möglichkeit sieht, eine Wende in unserer Gesellschaft zu vollziehen. Denn von der Wortbedeutung her wird die Corona-Krise eine Wende mit sich bringen. 

Braucht unsere Gesellschaft eine Wende?

Schaut man sich die Entwicklung unserer westlichen Zivilisation seit der Jahrtausendwende an, dann haben wir im immer steigenden Wachstum, im immer Schneller, Höher und Weiter doch fast schon neue Götter gefunden, die am Ende des Tages jedes einzelne Ego groß und stark machen, nicht aber die Gemeinschaft, in der wir zusammenleben. Survival of the fittest wurde quasi als neues Wirtschaftsmotto stark gemacht, während wir doch eigentlich alle spüren und wissen, dass eine Gemeinschaft immer nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied. Noch bis Anfang 2020, bevor Corona zu uns rüberschwappte, konnte man allerorts Forderungen und Hilferufe hören, in unserem Land oder auch Europa möge sich doch endlich mal was grundlegend verändern, weil doch so vieles im Argen ist. Probleme und von Abneigung geprägte Diskussionen beherrschten unsere tägliche Presse. In den vergangenen Jahren hat sich eine Art feindliche Rhetorik in die öffentliche Diskussion eingeschlichen und unsere Ohnmacht oder auch Unfähigkeit an all diesen Dingen etwas zu ändern, gipfelte in den letzten Wochen und Monaten in einem Ausbruch von Wut und Gewalt unter uns Bürgern. Wir sind Weltmeister geworden im „Mit-dem-Finger-auf-Andere-zeigen“ und egal wem die Schuld in die Schuhe geschoben wird, den Rechten, den Linken, der Bundeskanzlerin, den Flüchtlingen, den Banken oder populistischen Despoten, alle sind wir uns im Grunde doch einig, dass sich etwas verändern muss. 

Und dann kam Corona

Was von Jesus bis Papst Franziskus schon unheimlich viele Menschen erreichen wollten, das schafft vielleicht ein mikroskopisch kleines Grippe-Virus namens Corona: wir erleben inmitten ganz schwerer Tage eine Welle der Solidarität unter uns Menschen, ein gegenseitiges Achtgeben und umsichtig sein und eine ganz klare Botschaft, die mit allen von der Politik beschlossenen Maßnahmen verkündet wird, nämlich: wir müssen ganz besonders auf die Alten, Schwachen, Einsamen und Hilfsbedürftigen acht geben und sie in den kommenden Wochen schützen und umsorgen. Das ist eigentlich genau der Kern der Botschaft, die Jesus uns von Gott verkündet hat. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Und momentan, so erlebe ich es, erleben wir am eigenen Leib, was Jesus damit meinte. Denn uns alle in Europa und auf der gesamten Welt eint eine Angst, nämlich die Angst davor, von einem Virus infiziert zu werden, das uns im dümmsten Fall unser Leben kosten kann, nicht nur ausschließlich Menschen aus Risikogruppen. Man mag über die drastischen Maßnahmen denken wie man will, aber wenn wir es schaffen, dass die Welt im wörtlichen Sinne still steht, um unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern und alte und kranke Menschen zu schützen, dann hat diese Krisenzeit auch wirklich die Macht etwas zu verändern. 

Als sei uns das Gebot der Nächstenliebe im Herzen eingeschrieben, beginnt gerade eine regelrechte Solidaritätsbewegung durch die Dörfer und Städte Europas zu ziehen, die uns dazu bringt, auch alle anderen Menschen so zu schützen, wie wir uns schützen und andere so zu umsorgen, wie wir gerne umsorgt werden wollen, wenn wir Hilfe benötigen.

Du Träumer, sobald Corona überstanden ist, wird alles sein wie zuvor.

Klar ist das ganze kein Selbstläufer und so mancher wird versucht sein zu sagen: „Papi, du Träumer, sobald Corona überstanden ist, wird alles sein wie zuvor und jede*r wird schnell wieder in den alten Trott zurückkehren. Nichts wird sich ändern oder gar wandeln, außer dass bald alle einen Mundschutz-Vorrat zu Hause haben.“ Mit Sicherheit ändern sich die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht von heute auf morgen. Aber ich bin mir sicher, dass wir alle die Fähigkeit zur bedingungslosen Nächstenliebe in uns tragen, die wir gerade unter Beweis stellen. Es wird auf Augenhöhe kommuniziert, füreinander eingekauft, Abstand gewahrt, gelächelt, gewunken und Zeit genommen um zu spielen oder zu telefonieren. Deswegen glaube ich, dass wir aus dieser Krise alle etwas für uns mitnehmen werden, was sich in der Zeit nach Corona entfalten wird und uns befähigt, noch ganz andere Probleme in Angriff zu nehmen und zu beseitigen. 

Das Corona-Kloster lädt zu Einkehrtagen ein

Eine „Besinnung auf das Wesentliche“, das könnte man für die Zeit als Motto ausrufen, in der wir uns alle gerade unfreiwillig befinden. Lediglich arbeiten, einkaufen und unnötige Sozialkontakte strikt vermeiden. Eine Besinnung auf das Wesentliche, das ist es auch, was viele Mönche oder Nonnen antreibt, wenn sie sich entschließen, in einen Orden einzutreten. Ich selber habe schon mehrfach Schweigeexerzitien in einem Kloster erlebt und habe jedes Mal aus der Abgeschiedenheit und der Einkehr für mich großartige Erkenntnisse und neue Kraft gewinnen können, die mich wieder fit gemacht haben für die Anforderungen und Herausforderungen des Alltags. Klostertage, Besinnungs- oder Einkehrtage sind in den letzten Jahren ja wieder sehr beliebt geworden durch alle Gesellschaftsschichten hindurch, aber vor allem für solche Berufe, die unter ständigem Zeit- und Erfolgsdruck stehen, so dass sie gerne mal für einige Tage ins Kloster fahren um sich zu besinnen und wieder zu sich zu kommen. Um den Blick wieder auf das wirklich Wichtige richten zu können und die innere Unruhe zu befriedigen.

Das Interessante nun an der Geschichte ist, dass das Wort Kloster vom lateinischen Wort „Claustrum“ stammt, was soviel wie „verschlossener Ort“ bedeutet. Was bitteschön anderes, als ein verschlossener Ort, ist unsere gegenwärtige Situation, wenn alle Bürger*innen des Landes eindrücklich von der Kanzlerin aufgefordert werden, zu Hause zu bleiben und nur für das Nötigste die Haustüre zu verlassen. Es ist, als wären wir alle in ein virtuelles Kloster namens Corona eingetreten, ein Kloster auf Zeit. Aber nicht nur vom Namensursprung her sind wir gerade alle ins Kloster eingetreten, sondern auch von der Absicht her, mit welcher unzählige Menschen seit der Antike den Schritt in die Abgeschiedenheit gewagt haben. Das Ideal, welches seit frühester Zeit Menschen ins Kloster trieb ist die Askese, also eine gewisse Selbstschulung, eine Besinnung auf wichtige Tugenden oder Fähigkeiten oder auch die Selbstkontrolle und Festigung des Charakters. Das sind und waren hauptsächliche Beweggründe eines Mannes oder einer Frau, die sich der gängigen Lebensform entsagen wollten, um in Abgeschiedenheit den eigentlichen Sinn des Menschseins zu finden. 

Besinnung auf die Tugenden der Menschlichkeit

Nun, wir alle haben uns nicht dafür entschieden, die kommenden Wochen in Abgeschiedenheit und hauptsächlich in geschlossenen Räumen zu leben, aber wir werden es definitiv tun. Und wenn wir uns in unserem Ort oder in unserer Stadt umschauen, dann kommt gerade allerorts ein sehr menschlicher Umgang untereinander zu Tage, nachdem wir den Punkt erreicht haben, an dem alle wieder Klopapier zu Hause haben. Es ist als besinne sich unsere Gesellschaft notgedrungen auf die wichtigen Tugenden und Fähigkeiten, was uns wieder mehr zusammenrücken lässt. 

Das ganze ist allerdings kein Selbstläufer. Wenn der Tag kommen wird, an dem wir uns wieder frei bewegen und versammeln dürfen, dann holen uns die Mühen und die Mühlen des Alltags sicherlich schneller ein als erwartet. Deswegen können wir die Klostertage alle für uns persönlich nutzen. Wir können die Tage in der Abschottung dazu nutzen, uns auf die wesentlichen Fragen des Lebens zu besinnen:

  • Was sind meine eigenen Stärken und was meine Schwächen?
  • Lebe ich das, was ich von anderen Menschen erwarte auch selber?
  • Was hält mich im Alltag davon ab fröhlich und glücklich zu sein?
  • Wie möchte ich wirklich leben und warum tue ich es nicht?
  • Was ist es, das mir die Freiheit nimmt?
  • Gibt es etwas, was meinem Tag oder meiner Woche Struktur verleiht?

Veränderung beginnt immer bei mir selber

Veränderung beginnt immer bei mir und nicht bei meiner/m Partner*in, Nachbar*in oder irgendwelchen Leuten, die in der Zeitung oder auf Facebook stehen. Der Wandel, den die Corona Krise herbeiführen kann, hängt davon ab, wie sehr wir alle uns auch wandeln lassen in unserem Kloster namens Zuhause. Wenn wir im ganz kleinen alle bei uns selber beginnen und einkehren und nicht immer denken, die anderen sollen sich verändern, dann wird die Zeit im Corona Kloster zu einer wirklichen Wende in dem Sinne, dass Solidarität und Fürsorge wieder zu ganz entscheidenden Tugenden werden, sowohl im familiären Umfeld, als auch dort, wo wir mit vielen ganz unterschiedlichen Menschen zusammen leben und arbeiten. 

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