Glaube

Deine Kinder sind nicht normal

15. März 2021

„Was, dein Kind hat noch Schnulli?“ „Wie alt ist er?“ „Warum läuft sie denn noch nicht?“ „Für 2 Jahre spricht dein Kind aber noch nicht so viel, oder?“ „Was läuft schief bei euch?“

Wer eigene Kinder hat, weiß vermutlich genau wovon ich spreche: in der Öffentlichkeit artet die Erziehung unserer Kinder immer mehr zu einem Wettbewerb aus, in dem es nur darum geht, die Kleinen so zu formen, damit sie schnell fürs Leben lernen und sich gut in die Gesellschaft einpassen. Der Wunsch, tolle Kinder zu haben, mit denen man sich gerne in der Öffentlichkeit zeigt, ist mehr als verständlich. Allerdings bringt diese Art von „Wettbewerb“ mehr negative Folgen mit sich, als er uns und unseren Kindern nützt. Denn indem wir unsere Kinder miteinander vergleichen und darauf achten, was die einen schon gut können und die anderen noch nicht, zeichnen wir ein Bild eines ganz normalen oder sogar perfekten Kindes ab; quasi als Ideal und Vorbild für alle Eltern.

Sind wir nicht alle individuell verschieden?

Die Realität sieht aber ganz anders aus, denn wenn wir uns unter uns Erwachsenen umschauen, fällt doch sofort auf, dass wir alle ganz unterschiedlich sind. Im Laufe unseres Lebens entwickeln wir uns alle in verschiedene Richtungen und entfalten unser Können und Selbstbewusstsein in ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit. Ein Beispiel: Manche Kinder können schon fast lesen und schreiben, bevor sie eingeschult werden und manch andere tun sich bis in die vierte Klasse noch unheimlich schwer, dem allgemeinen Lerntempo Stand zu halten. Solchen Kindern, deren größte Stärke nicht im Lesen und Schreiben liegt, wird schnell eine mindere Intelligenz zugeschrieben, obwohl wir doch sicherlich alle irgendwelche Leute kennen, die in der Schulzeit einiges hinterher waren und aus denen trotzdem etwas geworden ist. Wieso, frage ich mich, hat man dann als Eltern ganz oft das Gefühl, bestimmte Verhaltensweisen der eigenen und auch anderer Kinder bewerten und vergleichen zu müssen?

Noch mal zurück zum Anfang: in den ersten Lebensjahren ist bei uns ja ganz genau festgelegt, wie groß und schwer ein Kind passend zum Alter sein sollte. Ebenso ist ganz genau festgelegt, was das Kind seinem Alter entsprechend können sollte und wird beim Kinderarzt dokumentiert. Mit einem Jahr sollte ein Baby krabbeln können und mit 2 einen Satz mit mindestens 2 Worten sprechen. Wenn ich das nun alles ernst nehme, wie die meisten Eltern es auch tun, dann stellt sich doch bei jeder Untersuchung und jedem Test die Frage, ob mein Kind normal ist und ob dessen Entwicklung zu den allgemeinen Erwartungen passt. Immer wieder hat man dann auch Bedenken oder sogar Angst, den eigenen Kindern könnte irgendeine Fehlentwicklung diagnostiziert werden, wenn es physisch oder psychisch nicht mit dem „Normalkind“ mithalten kann und Defizite aufweist.

Normale Kinder gibt es nicht

Ich frage mich aber: Gibt es eigentlich normale Kinder? Gibt es so etwas wie ein Otto-Normalkind mit durchschnittlichen Eigenschaften und Verhalten, an dem man sich als Eltern in Sachen Erziehung orientieren könnte?

Wenn man recht drüber nachdenkt, dann kann es gar keine normalen Kinder geben. Denn bereits im ersten Lebensjahr lernt man ganz unterschiedliche Eigenheiten und auch Fähigkeiten der eigenen Kinder kennen und spürt mit den Folgejahren immer mehr, wie einzigartig und vielseitig die eigenen Kinder sind. Wer erst einmal am eigenen Leib erfahren durfte, mit welch verschiedenen Begabungen und Talenten Kinder bereits zur Welt kommen, wird es ganz und gar ablehnen, alle Kinder unter einen Hut zu stecken oder ein gewisses Ideal oder Normalbild anzustreben.

Normale Kinder gibt es nicht! Das müssen wir Eltern uns immer wieder in Erinnerung rufen, wenn mal was nicht so läuft, wie es allgemein als normal empfunden wird oder wie wir es erwarten. Normal gibt es nur deshalb, weil manche sich über dem Durchschnitt bewegen und andere wieder darunter. Nimmt man alle Kinder zusammen, ergibt sich zwar ein Bild eines durchschnittlichen Kindes, aber ein ganz durchschnittliches und normales Kind wird es niemals geben. Je mehr wir aber darauf reinfallen, ein normales Kind zu erziehen, desto mehr erziehen wir an den Eigenheiten unserer Kinder vorbei und vertun jede Chance, unsere Kleinen bei der Entfaltung der eigenen Talente und Begabungen zu unterstützen.

 

Selbstbewusstsein stärken durch mehr Ehrlichkeit

Wenn ich mich in meinem Umfeld so umschaue, dann schaffen wir es in den meisten Fällen ganz gut, unsere Kinder als Individuum anzusehen und zu erziehen. Kinder haben Stärken, sie haben Schwächen und entwickeln sich zwar ähnlich, aber niemals gleich. Unsere Kinder werden uns dankbar sein, wenn wir sie im Licht der Liebe betrachten und erziehen und sie so annehmen, wie sie sind. Kinder haben Stärken, sie haben Schwächen und sind niemals gleich. Und wenn wir sie in ihrer Individualität wahrnehmen, wertschätzen und erziehen, dann wird es kein Problem sein, vor anderen Eltern auch die negativen Seiten unserer Kinder und Schwierigkeiten in der Erziehung offen zuzugeben. Viel zu oft halten wir solche Dinge hinter verschlossenen Türen und trauen uns nicht, anderen davon zu erzählen, dass etwas nicht perfekt läuft. Indem wir uns aber trauen, unsere Kleinen so anzunehmen, wie sie sind, werden wir nicht nur unseren Kindern gerecht und stärken sie in ihrem Selbstbewusstsein, sondern wir Erwachsenen können auch selber daran wachsen. Denn unsere Individualität hört ja nicht mit dem Erwachsenwerden auf. Wenn wir uns nicht nur der Stärken und Schwächen unserer Kinder bewusst sind und ehrlich darüber sprechen können, sondern auch über unsere eigenen Eigenschaften, wird es zu unserem eigenen Selbstbewusstsein erheblich beitragen.

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