Glaube

Auf der Suche nach dem Gottesteilchen

19. Dezember 2023

Als ich vergangenen Sommer, eines warmen Morgens, im Sonnenaufgang auf einem Baumstumpf saß und vor mich hin meditierte, erlebte ich etwas, was ich nicht im geringsten erwartet hätte.

Ich war gerade ganz bei mir selbst und spürte eine tiefe Ruhe in mir, als meine Ohren eine laute Diskussion in den unterschiedlichsten Stimmlagen vernahmen. Eine krächzende Stimme sagte: „Seht euch das Elend doch mal von oben an, immer weniger blühende Pflanzen und gesunde Wälder, die Erde ist wirklich krank.“ Und eine ganz tiefe Stimme brummte:“ Seit ich vor vielen Jahren meinen Bau hier bezogen habe, ging es gefühlt mit der gesamten Zivilisation bergab. Es fehlt an allen Ecken und Enden…“ „…Und wenn wir nicht schnell handeln, dann werden unsere nachfolgenden Generationen eine lebensfeindliche Welt vorfinden, so wie wir Tiere mit unserer Lebensgrundlage umgehen“ unterbrach ihn eine vorlaute und mutige Stimme. Und als wären sich alle Anwesenden überhaupt nicht einig, entbrannten hitzige Wortgefechte, so dass ein lauter und wilder Streit begann, der recht schnell eigentlich gar nicht mehr um die Sache ging, sondern um Vorwürfe und Schuldzuweisungen.

„Du bist doch derjenige, der sich einen Dreck um seine Kinder schert und jetzt willst du uns was von unseren nachfolgenden Generationen erzählen!“ „Ach sei doch du ruhig, seit die sintflutartigen Regenfälle über unsere Wiesen gekommen sind, lebst du doch in saus und Braus. Du gehörst zu denen, die verantwortlich sind für das ganze Desaster!“ Viele versuchten mit lautem Gebrüll gehört zu werden, doch nur die lautesten Stimmen konnten sich durchsetzen. „Schnauze, ich habe einen Verwandten dort hinten über dem großen Ozean und ich kann euch sagen, dass sich die Tiere dort einen scheiß drum scheren, was mit unserem Planeten vor sich geht. Wir können gar nichts verändern, solange wir die einzigen sind, die darüber diskutieren.“ Eine entschlossene Stimme protestierte: „Na, na, na, Naseweis, du kannst aber auch nicht alle dort über einen Kamm scheren, es gibt dort auch viele, die durchaus…“ „…Ach, nerv mich nicht mit deinem Guttiergehabe!“

„Stiiiiiiiill, stillllllllllll, drang es aus den Zweigen eines mächtigen Baumes und plötzlich war es so leise, dass man hören konnte, wie 2 mächtige Schwingen während der Landung die Erde aufstaubten. Alle lauschten gespannt, als eine ruhige und ernste Stimme den Vorschlag machte, der Sache im nächsten halben Jahr doch einmal gründlich hinterherzugehen. „Lasst uns in der kommenden Zeit alle mit wachen Augen durch den Wald gehen und nach der Wahrheit suchen, wie alles so krank werden konnte und was wir zur Heilung tun können. Als bereits Applaus einsetzte, unterbrach er noch einmal: „Möge uns die Sonne zur Wende entflammen, auf der Suche nach der Wahrheit. Wenn der Mond das letzte Mal in diesem Kreis die volle Größe gezeigt hat, treffen wir uns wieder an diesem Ort, um zu Entscheiden, wer die Wahrheit gefunden hat und wie wir weiter vorgehen, damit sich bald alles wieder zum Guten wendet. Die Versammlung ist hiermit beendet.“ Die Tiere verließen den Ort nach und nach und auch ich ging des Weges, entschlossen kurz vor Jahresende wieder hier zu sein, um zu hören, wie es weiterging.

Und genau so kam es auch, kurz vor Weihnachten -es war zwar kalt, aber Schnee lag keiner – fanden sich alle Tiere wieder im dichten Wald ein, als die Sonne im Osten zu sehen war. Es herrschte ein reges Treiben und viele diskutierten schon ganz hitzig darüber, was jetzt wohl der Grund für den Ausnahmezustand der gesamten Erde zu sein scheint.

„Sehr geehrte Mittiere, ich grüße euch mit Herz, Maul- und Huffried,“ übertönte eine laute und kräftige Stimme das Durcheinander, „ich bitte euch um Ruhe! Schön, dass wieder so viele gekommen sind, um über die Ergebnisse der Recherchen aus dem letzten halben Jahr zu berichten, warum gefühlt alles im Argen liegt. Lasst uns in Offenheit und Respekt einander begegnen und schauen, wer die wahren Gründe ausfindig machen konnte.“

„Da ich als eines der weisesten Tiere bekannt bin, fange ich mal an,“ übernahm eine Stimme mit ganz deutlicher Aussprache. „Ich bin Nachfahre einer Professorenfamilie in 5.ter Generation und bin sehr belesen. Wir sollten uns wieder mehr an den Grundfesten unseres Lebens orientieren, so, wie es früher war. Ich habe in der letzten Zeit überall beobachtet, wie wir auf einen scheinbar neuen Zeitgeist reinfallen, der die guten alten Weisheiten in Frage stellt. Wir müssen wieder zurück in die Zeit, in der alles noch gut war und diesen Zeitgeist bekämpfen. Ich hätte auch schon ein paar Ideen…“

„Gaaanz langsam, mit Verlaub, meine Ergebnisse gehen da in die ganz entgegengesetzte Richtung,“ unterbrach eine andere Stimme, „denn wenn wir wirklich etwas zum Guten verbessern möchten, dann müssen wir uns eher von manchen Vorstellungen verabschieden, die zu den sogenannten Grundfesten unseres Lebens gehören aber einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Wir müssen uns in der nahen Zukunft auf neue gemeinsame Werte besinnen, wenn es noch eine Zukunft geben soll. So viel Krieg und Gewalt überall ist ein Ausdruck einer riesigen Kluft zwischen dem Wunsch nach Frieden und der Unfähigkeit, sich im täglichen Miteinander friedlich und respektvoll zu begegnen. Erst, wenn wir neue Möglichkeiten gefunden haben, Auseinandersetzungen ohne Hass und Tod zu beenden, erst dann wird unser Wald wieder blühen.“

Mit einem „Naja“, das zuvor gesagtes ein wenig abwerten soll, sprach eine verständnisvoll klingende Stimme: „Im Grunde genommen ist das größte Problem im Wald unsere Gesundheit. Wir sollten viel mehr Wert auf Hygiene und körperliches Wohl legen. Die Medizin ist doch genau das Richtige, was eine kranke Erde wieder heilen kann, oder was macht ihr denn, wenn ihr krank im Nest liegt und euch elend fühlt?“ Oder auf dem OP Tisch mit nem offenen Bruch, kurz vorm abkratzen, so wie Herti letztes Jahr.

Stille, für einen kurzen Moment war es still.

„Darf ich?“ fragte eine zarte, fast schüchterne Stimme. „Die Gesundheit ist das größte Problem, das wir zu lösen haben, ja, aber nicht nur unsere körperliche Gesundheit, sondern ein viel ganzheitlicheres Verständnis von Körper und Geist. Beides muss im Einklang sein, damit wir wieder geheilt werden von all den Querelen und Problemen, die wir haben und die wir einfach ignorieren bzw. versuchen, sie zu vergessen. Ob ihr es glaubt oder nicht, aber es gibt einen galaktischen Tierkreiszirkel, der unser gesamtes Leben beeinflusst. Ich habe im letzten Jahr eine neue Verbindung zu mir selbst erfahren und die größte Kraft, die Dinge zu verändern steckt im Zusammenspiel von Geist und Körper.“

„Aber kuck, guckt doch mal, Tiere, es liegt auf der Hand. Nichts zerstört unseren Planeten so sehr wie die ganze Verschmutzung von Luft und Wasser, mir fließen die Tränen wie Bäche den Schnabel herunter, wenn ich an all das denke, was ich im letzten halben Jahr ansehen musste. Der gesamte Ökokreislauf bricht zusammen, wenn wir nicht schleunigst etwas gegen diese wahnsinnige Verschmutzung und verbrecherische Ausbeutung der Natur unternehmen. Es muss jetzt wirklich schnell gehen. Die Zeit läuft uns davon.“

Da räusperte sich eine piepsige Stimme und begann zu sprechen: „Ich grüß das chill im chinchilla und ich reime wie immer, die Recherche hat ergeben, es ist das hektische Leben, das uns allen so Probleme macht. Dass selbst der lustigste Vogel schon bald nicht mehr lacht. Wir hetzen und treiben, statt ruhig zu verweilen, und nehmen das Glück nicht mehr wahr, wenn wir eilen. Immer höher weiter schneller, und der heilige Propeller, *knallgeräusch* buff, knallt unsanft auf.“

„Murks, jetzt stell mal die Lauscher weit auf, ihr Kleinen und Jungen seid in Wahrheit das Problem, warum alles bergab geht. Nur noch 4 Tage in der Woche auf Futtersuche und Nestbau, mit eurer Nullbock-auf-Schaffen Mentalität richtet ihr unsere ganzen Vorräte zu Grunde. Ihr habt ja keine Ahnung, mit welchem Einsatz und Fleiß eure Eltern und Großeltern diesen Lebensstandard hier überhaupt geschaffen haben. Ihr Jungen müsst den Hintern mal hochkriegen, damit wieder was geht, ihr faule Säcke!““

„Jetzt hört es aber auf, ich brauch mich von dir nicht beschimpfen zu lassen!“ rief es von weiter oben. „Du kannst doch nicht im ernst die Jugend dafür verantwortlich machen, wenn ihr die Felder und Wälder hier zugrunde richtet, weil der gesamte Wasserkreislauf gestört wird durch Profitmaximierung und Wettbewerb und Schaffen, Schaffen, Schaffen. Du alter Drecksack.““ Du Rotzlöffel, komm runter.“ Und schon ging das Gerangel ging los.

„Genau, die ganze Massentiersiedlungen sind für den gesamten Ökokreislauf und für unsere Gesundheit auch große Kacke, ich würde auch eher sagen, ihr Alten seid das Problem, warum sich nichts verändert. Ihr haltet krampfhaft an der alten Welt fest, die offensichtlich nur durch Überfluss, Verschwendung und Ausbeutung bestehen kann.“ pflichtete ihm ein Kumpel bei, was aber in all dem Geschreie und Geschubse ganz unter ging.

Alle diskutierten und stritten, wer jetzt wohl recht und die Wahrheit über die Probleme dieser Welt herausgefunden haben möge.

Doch das Durcheinander war so groß und das Geschnatter und Gebrülle so laut, dass nicht einmal das besänftigende „Stiiiiiiiill, stillllllllllll!“ aus den Höhen der Zweige für Ruhe sorgen konnte. Es war fast, als bebte die Erde. Zu sehr waren alle damit beschäftigt, die anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen und recht zu behalten, warum sogar die Himmelsordnung in der Zwischenzeit in Gefahr zu schweben schien.

„Los, muchacho, schwing dich drauf!“ Mir rutschte auf meinem Baumstumpf heftig das Herz in die Hose und ich erschrak, während ich jedoch ganz ruhig sitzen blieb, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. „Komm schon, ich schieß dich mitten rein.“ Keine 10 Meter neben mir standen zwei kleine Mäuse und zerrten aneinander rum, ohne mich zu bemerken. Die eine Maus hatte einen Ast einer mächtigen Fichte derart aufgespannt, dass er als Katapult benutzt werden konnte. „Jetzt trau dich, verdammt noch mal, geh da rein und sag denen, du hast das Gottesteilchen gefunden. Du weißt, wie die Welt gerettet werden kann, Fips.“ „Die fressen mich doch auf, bevor ich überhaupt einen Pieps sagen kann, zack bumm, Affe tooooooooooo“, plötzlich schleuderte es beide Mäuse in die Lüfte. „Oooooooo“ umpf, und mit einem dumpfen Knall, der von einem erstaunten und erschrockenem Raunen der ganzen Versammlung begleitet war, wurde es plötzlich wieder von einer auf die andere Sekunde mucksmäuschenstill.

„Ups, sorry,“ rief eine piepsige Stimme. „Kleine Maus!“ Sprach eine deutlich überlegenere Stimme und es hörte sich an, als schüttelte jemand sein Gefieder. „Was treibt dich dazu, mich hinterrücks anzugreifen und woher kommt dein Mut mich so umzuhauen, ich könnte dich für diese Aktion fressen, wenn ich nicht seit 2 Jahren Vegetarier wäre.“

„Ich habe das Gottesteilchen gefunden!“ Lärm und laute Rufe, gemischt mit schallendem Gelächter und weiteren kleineren Rangeleien keimten sofort auf, bis mit einem kurzen Schrei, wieder alle zuhörten. „Schau mal Mäuschen, seit Jahrtausenden schon sind wir Tiere auf der Suche nach dem einen Gottesteilchen, das uns alle Erklärungen liefert und uns zu mächtigen Lebewesen macht, die über die ganze Erde herrschen. Und jetzt kommst du und willst uns ernsthaft erklären, du hättest das Gottesteilchen gefunden? Dann lass mal hören, Micky Mouse.

„Ich habe das Gottesteilchen gefunden!, bzw. eigentlich auch wiederum nicht. Du bist das Gottesteilchen, und du und du, ihr alle seid Gottesteilchen. In einer gewissen Weise habt ihr doch alle die Wahrheit über den Zustand unseres Planeten herausgefunden und recht mit dem, was ihr sagt. Aber lasst euch von mir kleinem unbedeutenden Mäuschen mal sagen, dass ihr vor lauter Bäumen den Wald doch schon gar nicht mehr sehen könnt. Wenn ihr weniger darum streiten würdet, wer von euch der Allergrößte und Tollste ist, dann würdet ihr auch endlich die Wahrheit erkennen:

Die Wahrheit, das Gottesteilchen, kann man niemals haben oder besitzen, man kann es nur sein.

„Merry Christmas, Schwesterherz, du bist die Beste!“ schrie die andere Mausstimme von ziemlich weit oben in den Bäumen und es setzte im ganzen Wald ein tosender Applaus ein, Stimmen über Tiergeräusche aller Art jubelten und begannen, die Botschaft in die Welt zu tragen, damit es auch der letzte Orang Utan noch erfahren darf:

Das Gottesteilchen kann man nicht besitzen, man kann es nur sein.

Frohe Weihnachten!

© PAPIonSOUL\ Dezember 2023

Das könnte Dir auch gefallen

No Comments

Leave a Reply